Das Wahrzeichen Seesens, die ehemalige Burg "Sehusa", war
schon im Mittelalter wichtigster Teil der Siedlungsgeschichte Seesens.
Aufzeichnungen über die Gründung dieser (Welfen-) Burg, heute Sitz
des Amtsgerichts, liegen nicht vor. Erstmals wird sie in einer Urkunde
aus dem Jahre 1282, der Zeit Herzog Heinrichs des
"Wunderlichen", benannt. Von Befestigungsarbeiten am
"castrum sehusen", bei denen Bauholz aus den Forsten des
Klosters Walkenried verwendet wurde, ist dort die Rede. Zur damaligen
Zeit war das Zisterzienserkloster Walkenried das mächtigste in der
Umgebung. Nachdem die Zisterzienser von Kaiser Barbarossa (bereits
1188) ein Viertel der Erzausbeute des Rammelsberges (in Goslar)
geschenkt bekamen, das Holz der Hänge des Harzberg zur Verhüttung
bald verbraucht war, verlagerte man diese (auch) ins Pandelbachtal (Münchehof).
Seesen hatte an Bedeutung gewonnen. 1287 wird die Burg als Sitz eines
Herzoglichen Vogts erwähnt. Dieser war zugleich Richter und
Forstmeister der Harzforsten zwischen Oder und Sieber. Danach muss es
zunächst "bergab" gegangen sein, man glaubt es kaum: im frühen
14. Jahrhundert war die Burg mehrfach verpfändet. 1495 bis 1500 war
die Burg Seesen der Aufenthaltsort der Witwe Herzogin Margarete, der
Gemahlin des Herzogs Wilhelm I. von Braunschweig. 1518 wird indessen
wieder ein Vogt bezeugt. Die von den Burgvögten geführten Rechnungen
reichen bis zum Jahr 1448 zurück. Sie zeigen immer wieder, dass die Vögte
sowohl richterliche als auch Aufgaben der allgemeinen Verwaltung zu
erfüllen hatten. Obwohl sich aus den Rechnungen sehr viele Angaben über
Bebauung und Umbauten des Burggeländes ergeben, kann man sich kein
genaues Bild über das frühere Aussehen machen. Fest steht, dass die
Burg als Wasserburg konzipiert worden ist. Eine vielfach erwähnte
Zugbrücke verband das Burggelände mit der Außenwelt. In dem Haus über
der Zugbrücke befanden sich die Amtsstube und Amtsschreiberei.
Der Abschluss einer größeren Bauperiode unter Herzog Heinrich
Julius ist Ende des 16. Jahrhunderts. Als äußeres Zeichen findet man
noch heute über der Treppentür des Turmes das noch gut erhaltene
herzogliche Wappen mit der Jahreszahl 1592. Dies weist auf den
Abschluss der Arbeiten hin, wobei offen bleiben muss, welchen Umfang
sie genau hatten. Auch heute zeigt das äußere Erscheinungsbild der ehemaligen Burg
ihren wehrhaften Charakter. Die Wände des 17 m langen und 10 m
breiten Hauptgebäudes haben im Erdgeschoss eine Stärke von 2,75 m
gegenüber 1,25 im Obergeschoss. Damit haben die Außenmauern und der
später trocken gelegte Ebbekensee die Anlage optimal geschützt, bis
ein Großbrand sowohl das Hauptgebäude, insbesondere den
Fachwerkaufbau mit Türmchen (früheres "Amptshauß"), als
auch einige Nebengelasse zerstörte. Im Erbregister von 1699 wird darüber
berichtet: "Das alte steinerne Gebäude, welches anno 1673 vom
Brand gänzlich ruiniert worden, ist in etwas mit Zimmerarbeit
repariret und mit Ziegeln gedecket, und seyndt noch zwey Gemächer
darin vorhanden, welche aber zur Wohnung gantz unbequeme, zu welchen
eine steinerne Windeltreppe von 40 Stufen hinaufgehet." Bei der
Angabe "1673" muss ein Erinnerungsfehler vorgelegen haben,
denn der Brand wütete tatsächlich 1664 (!) so zerstörerisch, dass
es sich jedenfalls 1667 noch nicht lohnte, die Amtsgrundstücke in das
Inventar aufzunehmen. Bis 1682 konnten nur drei der ehemals
vorhandenen Bauten wieder in Benutzung genommen werden. Wann der
Wiederaufbau vollendet wurde, ist nicht bekannt.
Die (heutigen) Seitenflügel stammen aus den Jahren 1870 und 1885.
Weiteres (heute noch erkennbares) Merkmal der "Burg": der
Renaissance-Treppenturm mit "welscher Haube". Er besitzt
hochovale barock umrahmte Fenster. 1578 umfasste das Amt Seesen aufgrund mittelalterlichen Herkommens
die Orte Seesen, Herrhausen, Engelade, Klein Rhüden, Bornum,
Schlewecke, Mahlum, Ortshausen, Langelsheim, Astfeld und Wolfshagen.
Dazu kamen die Junkerndörfer Volkersheim und Bornhausen sowie das
Klosterdorf Jerze. Dieser Amtsbezirk wurde später noch um das Amt
Stauffenburg vergrößert, das 1692 die Orte Gittelde, Teichhütte,
Badenhausen, Münchehof, Ahlshausen und Sievershausen umfasste. Während
der Westfalenzeit wurden vom Amt Seesen die Orte Jerze, Ortshausen,
Schlewecke und Volkersheim abgetrennt und dem Amt Lutter zugeschlagen.
Das Brandunglück im 17. Jahrhundert fiel in die Zeit der Wandlung
des Braunschweiger Domänenwesens. An die Stelle bestallter Amtsleute
traten Pächter. Diesen wurden mit gleichem Titel Rechtspflege und
Verwaltungsaufgaben mit übertragen, wobei sie das zur Ausführung
dieser Aufgaben erforderliche Personal selbst bezahlen mussten
(Vergleiche mit Überlegungen heutiger Politik sind erlaubt). Neben der vom Amt Seesen ausgeübten Gerichtsbarkeit bestanden in
verschiedenen Orten des heutigen Amtsgerichtsbezirks aufgrund überkommener
Rechte "Landgerichte" (nicht zu verwechseln mit den heutigen
Landgerichten als Rechtsmittelinstanz für das Amtsgericht). Diese
Gerichte tagten noch 1610 in Langelsheim und Seesen
(Piepenbrinkgericht) sowie Rhüden (Bördegericht).
Außerdem bestanden sowohl in Bornhausen als auch in Kirchberg
sowie Volkersheim (mittlerweile Amtsgericht Hildesheim)
Patrimonialgerichte, die Ober- und Untergerichtsbarkeit ausübten.
Hinweise auf eine besonders ausgeübte Jugendgerichtsbarkeit finden
sich aus dieser Zeit nicht. So übergab z. B. 1703 der Gerichtsherr
von Kampen in Kirchberg jugendliche Übeltäter dem Schulmeister zur Züchtigung
mit der Rute. Von Bornum (ehemals zum Amt Seesen gehörig, jetzt
Amtsgericht Hildesheim) werden im Staatsarchiv Wolfenbüttel u. a.
zwei Freiengerichtsbücher aus der Zeit von 1658 bis 1804 aufbewahrt.
Diese Freiengerichte hatten nicht nur die Landverkäufe schriftlich
festzuhalten, erledigten vielmehr gleichzeitig auch Streitigkeiten,
die mit diesen frei zu veräußerlichen Grundstücken zusammenhingen.
1503 wird dieses Freiengericht bereits urkundlich erwähnt. Weitere
Freiengerichte bestanden in Groß Rhüden (1748 erwähnt) und
Volkersheim (gleichzeitig auch Hägergericht). Der Name "Hägergericht"
grenzte gleichzeitig den Zuständigkeitsbereich ab, denn die
Gerichtsbarkeit erstreckte sich auf den Crammhagen, eine Rodung, die
von einem Hagen (= Dornengebüsch, Hecke; umfriedetes Grundstück)
umgeben war.
Nach Übertragung der Stadtrechte auf die Stadt Seesen 1428
entstanden die "Willkür-Artikel". Das waren
Ordnungsvorschriften, die das Zusammenleben der städtischen
Gemeinschaft regelten. Zur Überwachung dieser Artikel wurde (neben
der vom Amt Seesen ausgeübten Gerichtsbarkeit) ein Stadtgericht
eingerichtet. Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen den
"Landgerichten", den freien Gerichten, den Patrimonial- und
Stadtgerichten einerseits sowie dem Amt Seesen andererseits zeigen,
wie der Landesherr kontinuierlich versuchte, auf die anderen
Gerichtszweige Einfluss zu nehmen und die Rechtsprechung der Stadt
sowie der übrigen Volksgerichte an sich zu ziehen: Gerichtsakten aus
dem 17. Jahrhundert belegen, dass ihm dieses hinsichtlich der Volks-
und Stadtgerichte offenbar gelungen war. Die Oberaufsicht über Land-
und Freiengerichte wurde (mit Ausnahme von Volkersheim) von einem
Amtmann in Seesen ausgeübt. Auch bei den Stadtgerichtsverhandlungen
war bereits 1649 ein Vertreter des Landesherren, damit der "Burg
Sehusa", anwesend. 1693 wurde der Amtmann dem Rat als
"Schultheiß" also Vorsitzender in Rechtssachen, "vor
die Nase gesetzt". 1788 stellte das Amt Seesen fest, dass der
Stadt in der Feldmark überhaupt keine Gerichtsbarkeit mehr zustehe.
Der dennoch insgesamt festzustellenden Rechtszersplitterung und den
Kämpfen um die Gerichtshoheit machte die napoleonische Zeit ein
rasches Ende: der Harz- und Weserbezirk wurden einem Leinedepartement
zugeteilt, das in verschiedene Kantone aufgeteilt wurde. Eines dieser
Kantone mit gesonderter Justiz und Verwaltung war Seesen. Nach dem
Ende der napoleonischen Zeit, anlässlich der Einführung der Justiz-
und Polizeiverfassung 1814, griff man diese Kantonseinteilung wieder
auf: aus dem Kantonsgericht wurde das Kreisgericht Seesen. Es hatte -
wie alle Kreisgerichte - ein zweifaches Aufgabengebiet, nämlich
juristische Tätigkeit und allgemeine Landesverwaltung.
1823 traten an die Stelle der Kreisgerichte ein Distriktgericht in
Gandersheim ausschließlich für gerichtliche Funktionen während
dessen Seesen und Lutter Kreisämter für Verwaltungsangelegenheiten
und einige geringe richterliche Aufgaben wurden. 1850 wurden die Kreisämter (wieder) in Amtsgerichte umgewandelt
mit nunmehr ausschließlich juristischen Aufgaben. In der Weimarer Zeit leistete das Amtsgericht, ähnlich wie alle übrigen
Gerichte der damaligen Republik, einen ähnlich
"restaurativen" Beitrag wie die übrige Justiz: aus den
Urteilen lässt sich wenig demokratisches Grundbewusstsein entnehmen.
Während des "Dritten Reiches" beteiligte sich auch das
Amtsgericht Seesen an der Verbreitung unseligen, nationalsozialistisch
verbrämten Rechtsverständnisses (wie aus den Gerichtsakten vielfach
zu entnehmen ist). 1945 erhielt das Amtsgericht Seesen einen Gebietszuwachs durch Übernahme
des Amtsgerichts Lutter, das in den letzten Kriegstagen ausgebrannt
war (eine unschwer vernünftige Lösung). Dieses Amt Lutter bestand
1542 aus dem Flecken Lutter, Ostharingen, Nauen, Neuwallmoden und
Hahausen. 1568 kam Bodenstein hinzu, später noch Mahlum.
Die historischen Grenzen der vormaligen Ämter Lutter und Seesen
wurden erst 1973 im Rahmen der großen Gebietsreform verändert, wobei
schon zuvor, 1945, Ostharingen nicht an das Amtsgericht Seesen zurück
gekommen war. Infolge der umgesetzten Vorschläge zum sogenannten
Webergutachten gingen (dem Amtsgericht Seesen) die Orte Gittelde,
Teichhütte und Badenhausen verloren, sie wurden dem Amtsgericht
Osterode zugeschlagen. Als "Ausgleich" erhielt das
Amtsgericht Seesen die Orte Mechtshausen, Bilderlahe, Groß Rhüden
und Lautenthal.
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