Deutschen Reich

Allgemeines

In der Gründerzeit beschleunigte sich das Bevölkerungswachstum Hamburgs noch einmal von knapp 300.000 Einwohnern beim Eintritt in das Reich bis ca. 1.000.000 beim Beginn des Ersten Weltkriegs. Sowohl die wirtschaftlichen als auch die sozialen Bedürfnisse der Zuwanderer wurden zwar ständig besser und in größerem Stile befriedigt (durch Bau- und Konsumgenossenschaften, Gewerkschaften, Arbeiterparteien, bürgerliche soziale Initiativen wie die Patriotische Gesellschaft und Sportvereine), doch weder besaßen die Zuwanderer das Wahlrecht noch erkannte der Senat in vollem Umfange die Bedeutung und Ausmaß der politischen sozialen und stadtplanerischen Aufgaben.Am 12. Juni 1871 beschloss die Hamburger Bürgerschaft eine Landgemeindeordnung, derzufolge 15 rund um den Hamburger Stadtkern gelegenen und zur Stadt gehörenden Orte zu Vororten erklärt wurden. Diese Maßnahme hatte den Zweck, die angeführten Orte aufgrund deren Verstädterung dem bisherigen Landgebiet zu entziehen und unter unmittelbare städtische Verwaltung zu stellen. Die 15 Vororte waren Rotherbaum, Harvestehude, Eimsbüttel, Eppendorf, Winterhude, Barmbek, Eilbek, Uhlenhorst, Hohenfelde, Borgfelde, Hamm, Horn, Billwerder Ausschlag, Steinwerder und Kleiner Grasbrook. Noch heute dominiert die Architektur dieser Zeit dort ganze Straßenzüge.

Auch die Wirtschaft entwickelte sich weiter rasant, ständig wuchs der Bedarf an immer neue Flächen für Büros, Fabriken und Lager in der Innenstadt. Der Umgestaltungsprozess der Stadt verstärkte sich noch einmal. Der Warenumschlag verlagerte sich aus der Innenstadt in das neu geschaffene Hafengebiet zwischen Norder- und Süderelbe. Es verschwanden gewachsene Stadtviertel, die durch kleinteilige Betriebe und arbeitsnahes Wohnen geprägt gewesen waren, und machten der Aufteilung in reine Wohn- und reine Gewerbegebiete Platz, wie sie noch heute das Stadtbild prägen. Die Hafenerweiterung mit dem neuen Freihafen und der Speicherstadt ist ein Beispiel für diese Entwicklung. Sie ist zugleich das wirtschaftliche und städtebauliche Kernprojekt Hamburgs jener Jahre. Außerdem profitierte Hamburgs Überseehandel von der einsetzenden Kolonialismus des Deutschen Reiches und die Werften von der Kaiserlichen Marine und dem Aufkommen der Dampfschiffe. Trotz der sich stark entwickelnden Wirtschaft lebte die breite Bevölkerung im wirtschaftlichen Elend und in sozialer Not. Die Cholera wütete in den überfüllten Arbeitervierteln, Streiks und Aufruhr (Emeuten) forderten Tote und Verletzte. Der Senat konzentrierte sich auf die Förderung der Wirtschaft und vernachlässigte die Modernisierung der Verwaltung. So kam es zu der Situation, dass ab 1890 einerseits das Leitungsgremium der deutschen Gewerkschaften seinen Sitz in der Stadt hatte, andererseits war der Senat gemäß der Verfassung von 1860 durch die Angehörigen von Handel und Schifffahrt dominiert. Von der politischen Richtung her blieb der Senat daher großbürgerlich geprägt, während die Hamburger Direktmandate zum Reichstag ab 1890 durchgehend von Sozialdemokraten vertreten wurden.

In der Zeit verstärkte sich maßgeblich durch Betreiben von Albert Ballin (HAPAG) auch der Strom der Auswanderer, die über den Hafen meist (> 90%) in die Vereinigten Staaten reisten. Der Begriff Tor zur Welt für den Hamburger Hafen bekam in dieser Zeit einen neuen Sinn: Er diente nicht nur als Tor für die Ein- und Ausfuhr von Waren, sondern wurde Durchgangstür für ein neues Leben in einer neuen Welt. Von 1815 bis 1934 verließen 50 Millionen Menschen Europa, 5 Millionen davon über Hamburg. Im Ersten Weltkrieg 1914–1918 kam die Wirtschaft in Hamburg durch die Seeblockade größtenteils zum Erliegen. Mehrere Zehntausend Hamburger fielen als Soldaten, in der Heimat herrschte trotz aller Bemühungen Hunger und Mangel. Während der sich anschließenden Novemberrevolution 1918/1919 wurde Hamburg zeitweilig von einem Arbeiter- und Soldatenrat regiert. Er beschloss ein freies, gleiches und geheimes Wahlrecht und ordnete Neuwahlen zur Bürgerschaft für den 16. März 1919 an.


politik

1871 wurde Hamburg ein Bundesstaat des Deutschen Reiches, blieb aber zunächst zollrechtlich selbständig. Damit war Hamburg weiterhin zollrechtlich Ausland. Im Bundesrat hatte es wie Bremen und Lübeck eine Stimme. Bismarck wollte die staatliche Einheit vollenden und handelte mit der sich zunächst der zollrechtlichen Eingliederung hartnäckig widersetzenden Stadt 1881 den Beitritt zum 15. Oktober 1888 aus. Neben der siebenjährigen Frist erhielt Hamburg als Ausgleich von Preußen 16 km² Land beiderseits der Elbe zur Errichtung eines neuen Freihafens außerhalb der Innenstadt. Während der Geltung des Sozialistengesetzes war in Hamburg und Altona eines der sechs Belagerungsgebiete im Reich. Vierzig Prozent aller in der Geltungszeit von 1880 bis 1890 verbannten Personen stammten aus Hamburg und seiner Umgebung. Unter der staatlichen Repression wuchsen auch in Hamburg SPD und Gewerkschaften eng zusammen und gewannen neue Anhängerschaft, u.a. durch Zuwanderung aus anderen Teilen des Reiches. Seit 1890 wurden alle drei Hamburger Mandate im Reichstag von Sozialdemokraten ausgeübt. Im Gegensatz dazu verhinderte das alte Landeswahlrecht den Einzug der Sozialisten in die Bürgerschaft. Die politisch weniger organisierten Bürgerlichen beherrschten die Landespolitik. Hamburger Kaufleute wie Adolph Woermann und die Handelskammer Hamburg spielten eine große Rolle in den kolonialen Aktivitäten des Reiches, wenn man heute auch mehr von geschäftlichen als kolonialpolitischen Motiven ausgeht. Mit Pomp empfing Hamburg am 19. Juni 1895 Kaiser Wilhelm II.. Am 26. Oktober 1897 wurde nach 44 Jahren Planung und 11 Jahren Bauzeit das noch heute genutzte Hamburger Rathaus eingeweiht. In den folgenden beiden Jahren zogen erstmals Vertreter der antisemitischen Deutschsozialen Reformpartei in die Bürgerschaft ein. 1906 kam es in Hamburg zum ersten politischen Generalstreik in Deutschland, als die Bürgerschaft das Wahlrecht zugunsten der Besserverdienenden veränderte. Wie sehr sich der maßgebliche Teil der Bevölkerung Hamburgs inzwischen mit dem Deutschen Reich identifizierte, zeigt beispielhaft die Errichtung des 35 m hohen Bismarck-Denkmales an der Helgoländer Allee im selben Jahr. Über die Frage, ob man der von der Reichsregierung gewünschten Burgfriedenpolitik zustimmen solle, oder ob man gegen den Krieg agieren sollte, spaltete sich im Ersten Weltkrieg auch in Hamburg die Arbeiterbewegung in die Mehrheits-SPD, die Unabhängige SPD (USPD) und die Linksradikalen (später KPD). Während die SPD gemeinsam mit den Bürgerlichen den Mangel im Krieg zu verwalten suchte, nahmen USPD und Linksradikale in Hamburg an der Novemberrevolution aktiv teil und stellten den Arbeiter- und Soldatenrat, der am 6. November 1918 vom Senat als oberstes Regierungsorgan faktisch anerkannt wurde. Nach zwei Tagen Aufruhr mit zehn Toten wurde das Blutvergießen beendet; der Arbeiter- und Soldatenrat regiert vier Monate bis zu den ersten freien, gleichen und geheimen Bürgerschaftswahlen.


wirtschaft

Die Zeit im Deutschen Reich war gekennzeichnet durch großen technischen Fortschritt, Expansion der Industrie (in Hamburg besonders des Dampfschiffbaus und -betriebs durch Blohm & Voss und der HAPAG unter Albert Ballin) sowie anhaltender Arbeitskämpfe um bessere Arbeits-, Lebens- und Ausbildungsbedingungen. 1872 wurden die Elbbrücken vollendet und damit die Eisenbahnlinie Hamburg-Paris. Neun Jahre später wurde am 16. April 1881 das erste Hamburger Telefonnetz mit 206 Teilnehmern in Betrieb genommen. 1882 brannte in Hamburg das erste elektrische Licht. 1911 ging der Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel in Betrieb. Der mit Preußen vereinbarte Hafenausbau erlebte 1885–1888 mit dem Bau der Speicherstadt seine wichtigste Phase. Sowohl einfache Quartiere als auch Kaufmannsvillen waren für das Projekt abgerissen worden, 20.000 Menschen waren in Neubaugebiete am Stadtrand umgesiedelt worden (Ottensen, Eimsbüttel, Barmbek). Schon in den Jahrzehnten zuvor waren gewachsene Stadtviertel der Altstadtsanierung zum Opfer gefallen. Durch kleinere Abschwungphasen unterbrochen wuchs die Wirtschaft jahrzehntelang (auch durch die Rüstungspolitik des Reiches) stark und sorgt für Zuversicht und Selbstbewusstsein für das anbrechende neue Jahrhundert. Das fand im ersten Weltkrieg auch in Hamburg ein Ende, als die Seeblockade der Alliierten die Hamburger Wirtschaft stark bremste.


Soziales

Viele der noch heute stadtbekannten Lokalitäten wurden in dieser Zeit gegründet wie u.a. Carl Hagenbecks Tierpark (1874), der Ohlsdorfer Friedhof (1877), Santa Fu, das Gefängnis in Fuhlsbüttel (1879), der Hauptbahnhof (1906), die Laeiszhalle (1908), die Gerichtsgebäude am Sievekingplatz (1882–1912), der (alte) Elbtunnel (1911) und St. Pauli-Landungsbrücken (1909), die Hamburger U-Bahn (1912), das Tropeninstitut am Hafen und der Stadtpark (1914), das Curiohaus (1911) und andere mehr. Darüber hinaus prägte von 1906 an Fritz Schumacher 24 Jahre als Baudirektor der Stadt den traditionalistischen Klinkerstil, der das Stadtbild immer noch kennzeichnet. Beispiele sind Kontorhäuser, wie das Chilehaus (1924) und ganze Wohnviertel wie die Jarrestadt (1929) und die Dulsberg-Siedlung (1930). Auch die Kanäle („Fleete“) wurden in der Form hergerichtet, die sie noch heute haben. Nach einem Brand 1906 wurde die Michaeliskirche (der Michel) bis 1912 wieder aufgebaut. 1880 wurde das Hamburger Theologische Seminar der Baptisten gegründet. Zwölf Jahre später erkrankten während der Cholera-Epidemie 16.956 Einwohner, 8.605 Personen starben. Hamburg wurde aus Sicherheitsgründen zeitweise vom Umland isoliert. Der größte Streik dieser Zeit ereignete sich 1896, als ein Ausstand der Hafenarbeiter sich zum Generalstreik ausweitete, an dem bis zu 16.000 Personen teilnahmen und der 11 Wochen dauerte. 1910 arbeitet Emil Nolde vier Wochen in Hamburg. Im Ersten Weltkrieg fielen 34.519 Hamburger als Soldaten, 23.000 Kriegswaisen wurden nach Kriegsende in der Stadt registriert.


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