Das
Cap Corse erinnert an die Form eines Fingers, eines langen Zeigefingers, der unmissverständlich
ins blaue Meer nach Norden, in die Richtung der alten Schutzmacht Genua
weist. Ohne diesen Finger wäre die Insel nicht das, was sie ist: hier haben
wir's nämlich mit einem der wundervollsten korsischen Landstriche zu tun. Das
Kap besteht im wesentlichen aus einer vierzig Kilometer langen und zwölf bis fünfzehn
Kilometer breiten, macchiaüberwucherten Gebirgskette, die sich 1.000 bis 1.307
m hoch aufbäumt, um dann in das weite Blau des Meeres hinabzugleiten; an
manchen Stellen, in Pino oder Zonza etwa, wähnt man sich in einer griechischen
Tragödie. Schon die Römer, die ja nun nicht immer schlechten Geschmack
bewiesen, tauften das Kap »heiliges Vorgebirge«. Die Korsen nennen es L'isula
di l'isula, die »Insel der Insel« also.
Eine
kurvenreiche Küstenstraße "Corniche" führt rund ums Kap von
Bastia nach Saint-Florent und schlängelt sich heldenhaft zwischen Himmel und
Meer oberhalb einer märchenhaften Küste. Unterwegs taucht immer wieder mal ein
winzige Häfen auf: es handelt sich hierbei um die sogenannten "Marines".
Diese Hafensiedlungen wurden seit jeher unmittelbar am Wasser errichtet und
bestehen meist nur aus wenigen alten Schieferhäusern. Sie bilden sozusagen den Meeresanschluss
der zahlreichen zurückgezogenen, sich an Berggipfel klammernden Ortschaften.
Eine Welt für sich, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts von der restlichen
Insel abgeschnitten war, denn die Küstenstraße wurde erst unter Napoleon III.
fertiggestellt.
Eine
Vielzahl aufwendig geschmückter Kirchen, abgelegener Kapellen, in der Wildnis
verstreuter Familiengräber und Mausoleen, die Überreste von Trutzburgen, die
Wasser- und Windmühlen und nicht zuletzt die zweiunddreißig runden oder
quadratischen Genuesertürme, welche die Inselbewohner rechtzeitig vor
Eindringlingen warnen und ihnen Zuflucht geben sollten, deuten auf einen
geschichtsträchtigen Boden hin. Die Kap-Korsen hat es seit jeher in die Ferne
gezogen. Dies ist die einzige Gegend auf Korsika, für die das Meer nicht mit
Gefahr gleichbedeutend ist. Fischer und Kapitäne, Abenteurer der Weltmeere,
alle zog es seit dem Altertum, häufig auch von bitterer Armut dazu genötigt,
aufs weite Meer hinaus. Ziele der Auswanderer waren Santo Domingo, Puerto Rico
oder Venezuela. Sie ließen sich dort nieder, bauten Kaffee oder Zuckerrohr an,
wurden als Händler oder Goldgräber reich und mauserten sich bisweilen sogar zu
bedeutenden Politikern ein Präsident Venezuelas war korsischer Abstammung.
Die
meisten dieser seefahrenden Abenteurer kehrten als reiche Männer nach Korsika
zurück und ließen sich dort prächtige Häuser bauen; schlendert man durch
Dörfer wie Rogliano, Morsiglia oder Pino, wird man sofort auf sie aufmerksam.
Sie werden »Häuser der Amerikaner« oder auch schlicht "Palazzi
" genannt. Ihre Architektur weist sowohl toskanische als auch spanische
Einflüsse mit Arkaden und Kolonnaden aus der Kolonialzeit sowie Merkmale
des zentralamerikanischen Kolonialstils auf. Jeden Sommer leben diese Palazzi
mit der Ankunft der Vettern aus Puerto Rico und anderswo wieder auf; diese
sprechen übrigens oft nur spanisch. Die Maisons d'Américains sind
Zeugen der erstaunlichen korsischen Geschichte und bergen Rätsel und Anekdoten
zuhauf; leider sind alle nicht der Öffentlichkeit zugänglich, dafür aber gut
sichtbar. Auf diese Art und Weise bekundeten die reichen Onkel aus Amerika
damals ihren wirtschaftlichen Erfolg.
Der
Ort Macinaggio ist der bekannteste und beliebteste Sporthafen auf der Halbinsel:
ein Wald von Masten und Wanten, eine Armada von Segelschiffen, vom primitivsten
bis zum exklusivsten, und ein Tyrrhenisches Meer in wunderschönstem Blau. Einst
ein kleiner Fischerhafen und verwaltungsmäßig an das höher gelegene Rogliano
gegliedert, rangiert Macinaggio heute ganz oben auf der Beliebtheitsskala der
Jachthäfen am Cap. Der Ort selbst ist nicht gerade ein Ausbund an Romantik,
aber die Umgebung ist herrlich, vor allem Capandula und sein
Strandabschnitt, wohin man sich allerdings seinen Weg auf dem See- oder Landweg
selbst bahnen muss. Zu erkunden gilt es Strände, wilde Buchten mit türkisfarbenem
Wasser und felsige Vorsprünge. Der Hafen wurde von Pasquale Paoli
befreit, hier ging Napoleon an Land und hier kann man gut essen. Der Ort Centuri
ist das Zentrum der Fischereiindustrie auf Cap Corse. Die Küste ist ein nicht
ganz ungefährliches Paradies für Taucher. Der Ort Erbalunga ist für seine guten Osterprozessionen von der Kirche St-Erasme
aus bekannt. Der Ort
Pietracorbara ist bekannt, dass hier ein Skelett gefunden wurde, welches man auf
ca. 6000 v.Chr. datieren konnte.
Kieselstrände
an der äußersten Nordspitze sogar Sandstrände wechseln mit versteckten
Buchten ab, während zwischendurch immer wieder Berge für Abwechslung sorgen.
Die beiden Abhänge des Kaps gleichen sich jedoch nicht: während die östliche
Seite zwischen Bastia und Macinaggio in sanfte Täler ausläuft, stürzen die Höhen
auf der Westseite jäh ins klare Wasser des Mittelmeeres ab, eine ganze Reihe
von Steilhängen und Felsnestern bildend, an denen sich einige Bilderbuchdörfer
mutig festklammern.
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